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Phillip Boa im Interview

Ankündigungen / Interviews / Rezensionen / August 4, 2011

Mit kaum 12 Jahren durfte ich das erste Mal, nach einer Note 1 in Mathematik, in eine Teenie Disko. Es ertönte „And than she kissed her“. Ich tapste unbeholfen zum DJ, konnte kaum übers Pult schauen und fragte nach dem Lied, dabei übte mich gleich das erste Mal im Dackelblick. So erfuhr ich, dass es Phillip Boa war.                                Wieder zu Hause hatte ich noch immer diesen Song im Kopf und winselte vor mich hin. Mein Bruder kaufte mir letztendlich die Live Compilation als Tape „ Exile on Valletta Streets“. Ich war überglücklich! Viele Jahre später bekam Access2Music eine Anfrage zum Interview für Phillip Boa von Känguruh Productions. Phillip Boa besuchte derzeit das Steintor Varieté in Halle und nahm sich dabei auch Zeit für weitere Termine, unter anderen auch für uns. Selbstverständlich wurde ich nervös und kramte das Tape von damals wieder hervor…

Wir von A2M trafen uns mit Phillip Boa in einem Café der Leipziger Innenstadt.

Ab wann führte Sie der Ruf zu ihrer Musik?

Wie auch bei dir, ist es so, dass ich schon als Kind Musik gehört habe. Als der Punk aufkam, kaufte ich mir eine Gitarre und im Alter von 6 oder 7 war Musik für mich das, was ich geliebt habe. Am Anfang habe ich studiert, dachte aber nicht, dass ich davon leben könnte, denn es war nur ein Hobby. Und später bekamen wir einen Plattenvertrag bei Universal. Wir haben das nie geglaubt!

Ihre Musik wurde schon zu Ostzeiten gehört. Wie kam das zu Stande? Das weiß ich nicht. Es war zwei Jahre vor dem Mauerfall. Es gab einen Sender der hieß DT64*und dieser spielte und wählte uns zur beliebtesten internationalen Band. Wir hatten ein Konzert für DT64 gespielt, ein paar Tage vor dem Mauerfall 1989, und wir wussten  nicht, dass wir im Osten gehört worden, aber wir wurden von dem DDR System nicht als Klassenfeind eingestuft. Im Westen waren wir nicht konform. Unsere Musik, die Interviews und meine Texte stießen immer leicht gegen die Gesellschaft. Das wusste das System und wir wurden eingeladen, als wir populärer wurden. Im Osten und im Ausland wurde sich immer mehr mit unseren Texten auseinander gesetzt. Es war für mich ein Kompliment, wenn unter die oberste Schicht geschaut wurde. Wie war denn ein Konzert in der DDR im Vergleich zum Westen?

Es gab nur ein Konzert in der DDR 1989. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Es gab illegale Bootlegs**  und  Aufnahmen. Es war der Kult überhaupt  und das wichtigste Konzert, das ich jemals gemacht habe. Wir spielten in Ost Berlin mit unheimlich vielen Leuten. Für mich war es so, wie die Beatles sich gefühlt haben müssen, als sie das erste Mal nach Amerika gegangen sind. Wir wurden angeschaut, als ob die Menschen Aliens gesehen hätten. Es war ein unglaubliches Gefühl. Und heute ist es so; ich würde das Gefühl gern von damals wieder erreichen, aber es über 90 Minuten zu ziehen, so wie damals, das ist sehr schwierig.

Wie stehen Sie zu Bootlegs?

Ich find’s cool! Es gibt Bootlegs von uns, die kaufen Japaner für 400 €! Ein Teil meines Kultes sind die Preise bei Ebay.

Könnten Sie heute als Phillip Boa existieren, wenn Sie jetzt erst angefangen hätten Musik zu machen und nicht 1985?

Nein, denn wenn ich dieselben Ideen gehabt hätte wie damals – ich habe ja immer noch die gleichen Ideen- und es wäre nun 2011, Phillip Boa wäre gerade mal 19 Jahre jung, dann wäre meine Musik komplett ohne jegliche Lobby, ohne Plattform und ohne Chance! Ich selbst profitiere momentan vom Internet, mehr als noch vor 10 Jahren. Eine junge Band, die nicht von den Single Charts oder der Werbung profitieren möchte, eine solche Band hat wenig Hoffnung. Es ist kulturell skandalös! Ich rede viel mit jungen Bands, denn bei uns im Studio sind viele davon. Ab einem gewissen Punkt merke ich, dass ich die Illusion der jungen Menschen zerstören muss. Wenn jemand es wirklich ernst meint und kämpfen will für seine Musik, dann dauert es sehr lange. Es ist möglich mit etwas eigenem und sehr viel Durchhaltevermögen etwas auf die Reihe zu bekommen, doch die meisten geben vorher auf. Aufgrund der fehlenden Plattformen kann man damit kein auch Geld verdienen, auch nicht mit illegalen Downloads. Es liegt an der Werbeindustrie, denn sie bestimmt jedes kulturelle Verhalten, da sie 30% aller Singlehits ausmacht.

Wie sind Sie früher zum Erfolg gekommen?

Wir haben uns einfach gegründet und fingen an mit Spielen. Wir hatten keinerlei Medien, die uns unterstützt haben. Mit unserem Label, welches aus England kam, haben wir unsere Werke herausgebracht. Es gab ein paar Sender, die uns spielten u.a. John Peel***, ein WDR Sender  …  Aber es war sehr schwierig!

Sie haben „Helios“ und „Boaphenia“ remastert. Warum hängen Sie an diesen Alben?

Ich hänge an allen meiner 400 Songs, die ich geschrieben habe und von denen ich auch lebe. Auf diesen Alben sind 40, für uns sehr wichtige, Songs drauf. Sie wurden remastert, d.h. sie klingen lauter und fetter, was ich als Künstler für wichtig empfinde. Die Bonustracks müssen nun auch nicht mehr bei Ebay ersteigert werden, sie sind alle auf diesen CDs vorhanden.

Ihr letztes Album „Diamond Falls“ erschien 2009. Kommt irgendwann ein Neues?

Ich möchte nächstes Jahr im Sommer ein Neues herausbringen, daran arbeite ich schon seit zwei Jahren.

Wie lange dauert es einen Song zu schreiben?

Das ist völlig verschieden. Manchmal verwirft man wieder Sachen, da man glaubt, dass diese nicht gut genug sind. Diese Stücke hört man ein Jahr später wieder und denkt sich, dass sie doch gut sind. Man gibt aber auch manche Songs auf, weil man nachdenkt, ob es überhaupt noch eine Albumkultur gibt oder es noch Sinn macht ein Album herauszubringen. Das ist das Traurigste, das Sterben der Albumkultur. Früher gab es Alben, die haben von der Atmosphäre gelebt, dass sich eine Band im Studio eingeschlossen, sich gestritten, geliebt und gekämpft hat, nur um ein Album zu produzieren. Das merkt man dann diesem Album an. Durch diese Situation ist das Album vollkommen zeitlos und lebt für immer weiter. Und diese Kultur stirbt leider aus. So kann es nicht weitergehen. Es ist wie ein Leben ohne Büchergeschäfte, Kinos  etc. ich weiß nicht, ob das anstrebenswert ist.

Vinyl ist wieder extrem im Kommen …

Ich hänge an schön verpackten CDs und ich hänge auch an Vinyl. Wenn ein Fan zu mir kommt und mir eine Vinyl zum Signieren gibt, dann könnte ich die schlechteste Laune der Welt haben, aber ich würde es niemals verweigern eine Vinyl zu signieren. Mein nächstes Album kommt bestimmt auch auf Vinyl raus. Es gibt viel Streit in dieser Richtung, ob Vinyl, CD oder einer herunter gerechnete MP3.

Um zurück zu kommen, zu „Diamonds Fall“; sie arbeiteten mit Jaki Liebezeit zusammen. Er gilt auch als „Legende“…

Ja, das stimmt, aber es ist ihm auch egal. Er ist ein Stück Musikgeschichte. „Can“ ist eine der deutschen Bands, die es geschafft haben ein Ziel zu kreieren und das war entscheidend. Es waren alles verrückte Querköpfe in der Band und das hat sie ausgemacht. Niemand hat denen vorgeschrieben, was sie zu tun haben. Heute muss eine Band das tun, was die wenigen Plattenfirmen, die überhaupt noch existieren, denen vorschreiben. Ich habe eine Menge Respekt vor Jaki und er ist auch eine ganz andere Generation als meine, das war auch sehr interessant! Ich habe ihn unheimlich bewundert, für das was er macht und das mache ich bei anderen Musikern nicht. Denen versuch ich das aufzuzwingen, was ich will. Bei Jaki war das umgekehrt, denn er wollte langsamer spielen und deshalb ist die Platte langsamer geworden. Am Anfang war ich geschockt und dann habe ich gedacht:  „Wenn ich Jaki Liebezeit einlade, dann muss ich auch das akzeptieren!“  Ab diesem Zeitpunkt habe ich einfach alles akzeptiert, was er spielte. Live war es auch hart, denn er macht einfach das, was er will. Er ist überhaupt nicht kompromissfähig, aber das bin ich größtenteils auch nicht, somit konnte ich nicht viel schimpfen. Die „Diamonds Fall“ Konzerte mit Jaki Liebezeit waren viel ruhiger als unseren normalen Konzerte. Und das ist auch nicht überall gut angekommen.

Würden Sie sich wirklich mit 40° auf die Bühne stellen?

Ja natürlich, das habe ich schon tausendmal gemacht, denn ich bin Profi. Ich habe bis jetzt nur ein Konzert abgesagt. Das mit dem Konzert im Kölner Wartesaal ist genauso gelogen wie dass ich auf der Berliner Fashion Week live gespielt und nur rumgezickt hätte. Das ist komplett zu 100% erfunden. Es die E-Mails werden nur noch überflogen, die News nicht mehr richtig gelesen und somit die Signale falsch gedeutet. Ich kann mir nicht vorstellen, wie einer so einen Scheiß schreibt. Ich habe kein Problem auf der Fashion Week zu spielen, wenn man mich respektiert, dann trete ich da auf. Außerdem zicke ich nur rum, wenn man mich angreift. Wie zum Beispiel bei dem Radio Interviewer von heute, der zu mir sagte: „Ja, es ist schon 2011, warum machen Sie das schon so lange und warum tun Sie sich das jetzt noch an?“ Darauf bekam er eine dementsprechende Antwort: „ Ja, weil es der beste Job der Welt ist, immer noch besser, als dein scheiß Job!“ Die zweite Frage wurde höflicher.

Sie spielen oft in Leipzig zwischen Weihnachten und Neujahr in der Tonne der Moritzbastei?!

Ich bin am Umdenken, da Mitteldeutschland diese Gigs auf diesen Kult reduzierte. Das gefällt mir manchmal nicht, selbst ist der Sound in der Tonne nicht optimal, aber die Leute lieben es. Irgendwann ist eine Geschichte erzählt.

Am 10. September 2011 spielen Sie im Steintor-Varieté, Halle. Zu Gast: The Invincible Spirit & AC VIBES und dazu werden Filme von Joy Division und Joe Strummer – the future is unwritten gezeigt. War das Ihre Idee oder die einer Promotion Firma?

Das ist meine Idee mit Kay Schöttner****vom Steintor-Varieté. Wir machen das Konzert gemeinsam, denn ich möchte nicht auf die Moritzbastei reduziert werden. Die Vorbands hab die ich ausgesucht, die ich kenne. The Invincible Spirit haben mit den Techno und den Elektro in Deutschland mit erfunden. DJs, die das spielen, was gehört werden will, ist ja auch nicht mehr üblich. Dazu noch zwei Filme, die ich zu Hause gerne sehe, die kaum einer kennt und diese laufen in Endlosschleife mit Ton im Foyer. The Clash sind meine Vorbilder, sie haben jegliche Musikstile gespielt. Ich möchte einfach zerbrochene Charaktere zeigen wie Joe Strummer. Und ich möchte einfach zeigen, dass mehr der Rockmusik steckt, wie Tiefe, Leid und Romantik.

Wird es von Ihnen irgendwann auch einen Film geben?

Wenn jemand kommt und sagt, dass er einen Film machen möchte und mich von dem Konzept her überzeugt, dann schon. Aber es gibt keine guten Filmemacher in Deutschland. Ich versuche oft Filmmusik unterzubringen, aber die Produzenten entscheiden über das Geld und das Publikum und nehmen alles was cool ist raus. Es ist mir schon 20-mal passiert und dann ziehe ich meine Musik zurück. In Deutschland hat keiner einen Stil. Ich habe letztens einen genialen englischen Boulevard Gangester Film gesehen und die Musik war von Kasabian. Die ausgesuchte Musik passte zu 100% auf den Film. Jeder deutsche Produzent hätte sich das angehört und mich sofort aus dem Film rausgeschmissen. Es gibt nur Leute, die sich von den Produzenten reduzieren lassen, denn das Publikum verstehe das nicht und es gebe eine schlechte Einschaltquote. Kunst hat nichts mit Einschaltquote zu tun!

Mit wem würden Sie gerne in der Musik zusammen arbeiten?

Mit David Bowie sowieso, wir haben schon auf der Bühne gespielt. Das war‘s dann auch und ich hätte abtreten können. Bob Dylan auch, aber danach hätte ich auch aufhören können. Meine Regel ist immer:„Niemanden jemals zu fragen!“ Das sollte auf natürliche Art und Weise kommen.

Ohne kommerzielle Musik kann man doch als Musiker nicht leben?

Stimmt nicht, das denkt jeder. Selbst jede deutsche Plattenfirma denkt das und deshalb gibt es nur scheiß Musik!

Was sollte denn eine deutsche Plattenfirma verbessern?

Ist mir egal! Ich könnte es auch anders ausdrücken: Warum sollte ich aufhören, wenn nichts Gutes nachkommt? Es liegt auch an den Bands selbst, wenn diese nicht durchhalten und sich von den Plattenfirmen (wenn es die noch geben sollte) sich etwas aufzwingen lassen. Die meisten Hits werden in Werbeagenturen erstellt. Muss ich da mitmachen? Nein! Wer nimmt einen Top Ten Hit schon ernst? Die aus irgendwelchen Casting Shows haben es nicht geschafft ein Album herauszubringen, das ein gewisses Gefühl von Zeitlosigkeit schafft.

Auf der EP „ Jazz ist anders“ von den Ärzten und in dem Stück „Wir sind die Besten“ wurden Sie erwähnt. Zitat: „Es gibt nur noch uns oder Phillip Boa – Wir sind älter und besser als je zuvor“. Gab es eine Beziehung dazu?

Nein, es gab immer eine Hassliebe zwischen den Bands. Mehr Hass als Liebe. Aber auch ein gegenseitiger Respekt, den man aber niemals äußern durfte, aber sie haben das damit aufgebrochen. Ich habe mich darüber gefreut, denn dieser Song ist ziemlich gut und es ist schade, dass dieser sich nur auf einer B-Seite befindet. Dieser Text bringt das raus, was in Deutschland nicht so gewagt wird,  nämlich ein Großmaul zu sein.

Wird es von Ihnen irgendwann einen Roman geben?

Ich lese viele Romane und denke mir, so gut werde ich nie schreiben, somit mache ich lieber Musik. Es würde sich auch wie ein Rachefeldzug lesen und als Verbitterung gedeutet werden.

Vielen Dank für dieses Interview.

Phillip Boa ist Kult! Er zählt zu den beeindrucktesten und individuellsten Independent Musikern weltweit, das ist Fakt!

[Edit: Er signierte mir noch mein Tape…*hach*]

*DT64: War das Jugendprogramm des DDR-Rundfunks und ein wesentliches Element der Jugendkultur in der DDR. 1964 gegründet, wurde DT64 1986 ein eigenständiger Sender, der bis Mai 1993 bestand. Der Nachfolgesender heißt MDR Sputnik. [Wiki]

**Bootleg: Der Begriff wird für nicht autorisierte Veröffentlichungen von Tonträgern und Video-DVDs verwendet und leitet sich vom englischen bootleg (für „Stiefelschaft“) her. In der Stiefelschaft wurden während der Prohibition Whiskey- oder Schnapsflaschen über die Grenze geschmuggelt, woraus die Zweitbedeutung to bootleg für „schmuggeln“ entstand.[Wiki]

*** John Peel war ein englischer Radio-Moderator und DJ. Bei BBC Radio 1 von 1967 bis zu seinem Tode 2004 tätig, war er dort der dienstälteste DJ. [Wiki]

**** Kay Schöttner lernte Phillip Boa im Februar 2001 kennen. Er sah in einem Plattenladen die neue CD mit den Tourdaten für April und fragte nach, ob noch ein Tourmanager benötigt wird, da er für MAWI Concert  arbeitete. Seitdem besteht eine Freundschaft.


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