Es begann so vielversprechend.
Das Berlin Festival versprach dieses Jahr schon allein mit seinem Line-Up etwas besonderes zu werden. Internationale Größen wie Fatboy Slim, Hot Chip, Editors, Robyn, Peaches oder Adam Green sollten dem stillgelegten Flughafen Tempelhof vom 10. bis 11. September wieder Leben einhauchen.
Dies gelang den Veranstaltern des Festivals auch. An die 20.000 Besucher füllten das Gelände um die drei Bühnen – eine zentrale Hauptbühne und 2 seitliche Hangarbühnen. Leider füllten sie es nicht nur, in den Augen der Veranstalter überfüllten sie es auch. Die fast doppelt so große Besucheranzahl im Vergleich zum letzten Jahr schien den Sicherheitsschefs solche Angst einzuflössen, dass sie mit loveparadeähnlichen Bildern in ihren Köpfen das Festival am Freitag gegen 2:30 aus Angst vor einer Massenpanik beendeten. Infolgedessen kürzten sie Samstag das gesamte Programm radikal zusammen, so dass sich die Besucher gegen 23:30 letztendlich vor leeren Bühnen wieder fanden.
Und dabei fing alles so gut an, die Post-Punker The Cast of Cheers eröffneten am Freitag um 14 Uhr das Festival in der Hauptstadt auf der Main Stage. Auch die sich anschließenden Blood Red Shoes, der US-amerikanische Singer/Songwriter Adam Green und vor allem LCD Soundsystem begeisterten die Besucher. Die Bühne, deren Besonderheit es ist, dass sie gänzlich durch das verlängerte Flughafendach überdacht ist, erwies sich als optischer und akus- tischer Leckerbissen des ganzen Festivals. Die britische Indieband Editors zog bereits 22 Uhr mindestens 10.000 Besucher in ihren Bann. Mit alten, neuen und auch einem einigen Fans unbekanntem Song – die lediglich auf dem Twilight – New Moon Soundtrack veröffentlichte Ballade No Sound But The Wind – zeigten sich die aus Birmingham stammenden Musiker um den Frontsänger Tom Smith von ihrer besten Seite. Als eindrucksvoll erwies sich vor allem der letzte Song Papillion, der den Zuschauern mit riesigen Feuersäulen während der ersten Zeilen eines jeden Refrains einheizte.
Doch auch die beiden Hangar-Stages, neben der Hauptbühne, glänzten mit großartigen Acts, die vorrangig in die elektronische Richtung zielten. Die Kölner MIT und die Elektro-Dance-Popper Goose bildeten die perfekte Einstimmung für Robyn, welche mit ihren Hits With Every Heartbeat und Dancing On My Own bereits Platz 1 der Single Charts in ihrem Heimatland Schweden, oder auch in Großbritannien erreicht hat. Immer mehr Besucher strömten zu später Stunde in die Hangar. Da das Programm auf der außenliegenden Hauptbühne auf Grund von behördlichen Auflagen gegen 23 Uhr beendet werden musste, sammelten sich nun Massen an den sehr enggehaltenen Schleusen zu den Hangarn. Nicht nur, weil es keine Alternativangebote gab, nein, auch vor allem aus dem Grund, dass angesehene Künstler in eben diesen Hallen spielten. Caribou, 2manydjs und kein geringerer als Fatboy Slim sollten die Freude der Fans elektronischer Musik steigern. Diese wurde jedoch zu Frust und Enttäuschung, als gegen halb 3 alle Konzerte (also 2manydjs und Fatboy Slim) des Hangar-4s wegen des zu großen Andrangs am Eingang abgesagt wurden. Jene, die sich schon hinter der Absperrung befanden, konnten sich die Entscheidung der Veranstalter nicht erklären und viele verließen frustriert das Festivalgelände.
Andere wiederum nutzten die Chance sich einer neuartigen Undergrounderfindung hinzugeben: der Silent Disco Noize. Silent, also still, deswegen, weil jeder Besucher dieses Floors mit einem Paar kabelloser Kopfhörer eines führenden Herstellers ausgestattet allein vor sich hin tanzen konnte. Der Clou der Sache ist, dass jeder zwischen zwei Kanälen wählen konnte: einem Mainstream bzw. Rockkanal und einem bei dem ein DJ Elektro- und Balkanbeats auflegte. Entschied sich nun die Masse für den gleichen Kanal, so spürte man das nicht nur durch gemeinschaftliches Tanzen zum gleichen Beat, sondern auch dadurch, dass plötzlich leise, dann lautere Gesänge die Umgebung erfüllten. Die Kopfhörer schafften es, dass die Masse sich traute laut zu singen und zu vergessen, dass jeder um sie herum sie hören konnte.
Der Samstag begann als sonniger Tag, jedoch mit Gewitterwolken ausgehend von den Festivalbesuchern. Während sich das Gelände langsam füllte, sah man viele mit weißen Zetteln, die Freunde anriefen oder zumindest versuchten sich mit der neuen Situation auseinander zu setzen. Die Zettel beinhalteten Erklärungsversuche, wie auch den neuen Festivalablaufplan, welcher zum Entsetzen aller, schon 23 Uhr enden sollte. Über Nacht hatten die Veranstalter das gesamte Festival umgeplant und mussten mit einigen Ausfällen ein Programm, welches bis 6 Uhr gehen sollte, drastisch einkürzen.
Keiner wusste genau, wann was spielte, da während des Abends erneute Planänderungen vorgenommen wurden. Viele Künstler, die man sich nach dem alten Plan hätte nacheinander ansehen können, spielten nun zur gleichen Zeit oder überschnitten sich zeitlich derartig, dass es nicht möglich war, das zu sehen, weswegen man überhaupt angereist war.
Trotzallem glänzte der Samstag musikalisch: Soulwax stellten bereits 19 Uhr mit ihrem Alternative-Elektro einen Höhepunkt des letzten Festivaltages dar. Da die Brüder Stephen und David Dewaele nicht nur Grundstein von Soulwax sind, sondern gleichzeitig auch ihr Zweitprojekt 2manydjs ausmachen, konnten einige Gemüter der am Abend zuvor enttäuschten Besucher wieder gutgestimmt werden. Auch Boys Noize war alles andere als enttäuschend, zwar ist 20:30 eine ungewöhnliche Zeit für ein Konzert solcher Musik, doch ließen sich die Festivalbesucher nicht davon beirren. Sie tanzten ausgelassen zu den Electro-Beats und vergaßen sicherlich für kurze Zeit, dass der Abend nicht mehr lang andauern würde.
Begab man sich nun zum Hangar 5 um We Have Band zu sehen, staunte man über das erklärungsbedürftige veränderte Aussehen dieser. Man fand sich ebenso von einer Menge umgeben, die sich nicht erklären konnte, wer sich nun wirklich auf der Bühne befand. Nach zwei Songs wurde Klarheit geschaffen, hier spielten nicht die 3 Londoner, sondern Sizarr, 3 Jungs aus Deutschland, die vor einem unerwartet großen Publikum ihren electronica-angehauchten Indie zum Besten geben durften. Für sie war das Berlin Festival sicherlich ein Erfolg, denn sie hatten nicht nur einen Auftritt zur besten Stunde, sondern durften zuvor auch ein DJ Set auf dem Club Berlin Floor spielen. Dass die kurzfristige Verschiebung von We Have Band um eine Stunde nicht viele erreicht hatte, lag unter anderem daran, dass dies lediglich über internetfähige Handys zu erfahren war und die Zeit durchaus nicht ausreichte, die meisten Besucher zu erreichen.
Doch das Berlin Festival wartete noch mit einem Ende gespickt von 2 Künstlern, auf die sich mit Sicherheit die meisten gefreut haben: Peaches und Hot Chip. Peaches schloss im Hangar 4 den Abend mit einer eindrucksvollen Lasershow ab, während Hot Chip die restlichen Vorfreudigen auf der Main Stage mit einem einstündigen Programm berauschten. Viele Songs ihres neuen Albums One Live Stand wurden gespielt, aber vor allem die älteren, wie Ready For the Floor oder Over And Over begeisterten zum Abschluss noch einmal alle. Schließlich war man zu dem Festival am Platz der Luftbrücke gekommen um eine schöne Zeit zu haben und gute Musik zu hören. Dies war den Veranstaltern, übrigens die Booker vom Melt!-Festival, gelungen, aber mit einigen Abstrichen, die die Besucher zu tragen hatten. Die abgesagten Acts sollen in naher Zukunft nachgeholt werden, wie und wann dies stattfinden soll, wurde jedoch noch nicht bekannt gegeben. Wichtig ist in jeden Fall, sein Festivalbändchen aufzuheben, sollte man dem ganzen noch eine Chance geben wollen.
Für alle, die es gern nachlesen möchten, die offizielle Erklärung der Veranstalter des Berlin Festivals 2010: http://www.berlinfestival.de/09/14/an-die-besucher-des-berlin-festivals-2010/.
Schlagwörter: 2manydjs, Berlin Festival 2010, Boys Noize, Caribou, Editors, Hot Chip, Robyn, Silent Disco Noize, Sizarr, Soulwax, We Have Band
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