Deutschland und Thrash Metal, das war lange Zeit eine eher zwiespältige Beziehung. Während die Vorreiter der Bewegung (Metallica, Exodus, Megadeth, Testament und Co) in den 80er-Jahren damit beschäftigt waren, die Bay Area und die Ostküste musikalisch filigran dem Erdboden gleich zu machen, war die räudige Mischung aus Metal und (Hardcore-)Punk in deutschen Landen lange Zeit eher in letzterem verwurzelt. Wo die US-Amerikaner mit komplexen Rhythmen und interessanten Gitarrenläufen spielten, regierte in Teutonien der grobe Hammer – wenn auch nicht weniger effektiv, nur eben roher als andernorts.
Gewandelt hat sich diese Sichtweise hierzulande spätestens mit Kreators Jahrhundertwerk „Violent Revolution“ um die Jahrtausendwende. Thrash Metal konnte plötzlich auch in Deutschland mit Musikalität und Anspruch punkten. Und doch waren, zumindest für mich, die Essener um Front-Brüllwürfel Mille die schillernde Kirsche auf der deutschen Thrash-Sahne.
Nun, im Jahr 2016, muss dieser Eindruck endgültig revidiert werden. Der Grund hört auf den klingenden Namen „Decision Day“ und markiert den inzwischen 15. Studio-Output des Gelsenkirchener Urgesteins Sodom. Und ja, es ist tatsächlich auch in meiner Betonbirne angekommen: Tom Angelripper und seine Hintermannschaft können auch musikalisch thrashen – und zwar mal so richtig!
Schon der Opener „In Retribution“ macht eindrucksvoll klar, wo die musikalische Reise für die folgenden knapp 55 Minuten hingeht: Direkt nach vorne, ohne Umwege mitten ins Gesicht und das alles ohne Gnade. Zwischen Stakkato-Drums regiert wunderbar fies angehauchtes Riffing, gekrönt von einem Gniedel-Solo, dass auch Slayer-Mainman Jeff Hanneman (R.I.P.) nicht besser aus den sechs Saiten hätte schütteln können. Obendrauf gibt’s Meister Toms herrlich fieses Gekeife – stilecht mit sympathisch denglischer Betonung. So muss das sein!
Und auch der Rest der Platte fällt dagegen nicht ab, sondern überrascht im Gegenteil immer mal wieder mit musikalischen Schlenkern. „Rolling Thunder“ walzt im massiven Midtempo wie ein Musik gewordener Panzer aus den Boxen und hält ein hübsches Solo bereit. Der Titeltrack lässt immer wieder stilistische Verweise auf Kreator aufkommen, bleibt aber letztlich der bewährten Sodom-Formel aus Marschrhythmus und heftigem Riffing treu. „Caligula“ tobt nach fettem Bass-Intro wie ein wild gewordener Mähdrescher durch die Botanik, bevor der Chorus zu Gunsten von ordentlich Groove ein wenig das Tempo aus der Nummer nimmt, bevor im folgenden „Who Is God?“ das Gaspedal wieder bis zum Anschlag durchgetreten wird.
Man könnte jetzt noch viele weitere Highlights, kleine musikalische Schmankerl und die vielen, vielen Details hervorheben, die „Decision Day“ auch beim zwanzigsten Hördurchgang noch frisch und interessant halten. Man kann es aber auch ganz einfach auf den Punkt bringen: Mit ihrem 2016er Output ist dem Ruhrpott-Trio ein Album gelungen, das den perfekten Spagat zwischen rührig-rumpeliger 80er-Breitseite und moderner Aggressionsmusik schlägt, ohne dabei zu glatt poliert zu klingen (die Produktion tönt angenehm warm und dennoch differenziert). Kurzum: Sodom legen mal eben ein Karriere-Referenzwerk und eines der bisher stärksten klassischen Thrash-Alben des Jahres vor. Da muss sich die Konkurrenz um Kreator und Tankard (die ebenfalls neue Alben in der Pipeline bereit halten) schon ganz schön anstrengen. Bockstarke Angelegenheit das – ich drücke dann mal den Repeat-Knopf!
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