Breaking

Project Pitchfork – Look up, I’m Down There

Rezensionen / November 21, 2016
Ihre Touren sind oft ausverkauft. Die Musik ist zeitlos und wegweisend. Seit 25 Jahren existieren die Wegbereiter des Indie-Electro-Sounds. Über 17 Studio-Alben können sie aufweisen. Hinzukommen zahlreiche Singles, Compilations, Live-Alben sowie EPs, DVDs, frühere Videokassetten und Tapes. Ein beachtliches Ergebnis, das sich sehen und hören lassen kann. (Wenn man mal die extreme Esoterik-Phase von Spilles weg lässt!)
Seit 22 Jahren erhöre ich die pitchforkischen Klänge. Zu meiner Sammlung zählen über 32 CDs. Über diese Band zu schreiben, zu der ich eine persönliche Geschichte habe, bedeutete mir immer sehr viel. Doch dann schoss sich die Band selbst ins Aus und ich haderte mit mir, ob ich überhaupt noch über „Look up, I’m Down There“ schreiben möchte. Auf Facebook wurde ein Thread über eine Rezension gepostet, die folgenden Inhalt aufweist: „Das ist die ausnahmslos beste Rezension, die wir jemals über unsere Musik lesen durften. Vielen Dank dafür! Viele Grüße an den Krähenkönig“ . Es verbitterte mich. Darüber hinaus stellte ich mir die Frage: Warum soll ich mir denn noch Mühe geben und meine wertvolle Freizeit dafür aufwenden, über ein Album zu schreiben, über das es keine besseren Reviews mehr zu lesen geben wird. Dazu machte sich eine weitere Frage breit: Stellt sich der Künstler selbst mit dem Album an die oberste Spitze, dass danach nichts mehr kommen wird außer abwertende Kritik, da eine Zenit-Review bereits geschrieben wurde? Damit wurde sich letztendlich selbst ein Armutszeugnis gegeben, so dass jede weitere Kritik, jedes weitere Feedback für die Band keinen Sinn mehr macht. In etwa wie „… ihr habt uns/mich (Spilles) weit gebracht, aber nun brauch ich keinen mehr von euch …, weil schon alles gesagt ist!“ Auf gut deutsch: Veränderungen, Entwicklung ist nicht mehr möglich! Eine ziemlich miese Selbsteinschätzung. Vielleicht wäre diese passend, wenn man vorhat, die Bühne endgültig zu verlassen. Der Post auf Facebook war somit dümmlich, sehr undankbar, vor allem aber unprofessionell. Einem Neuling würde man es nachsehen, aber so einem „alten Hasen“ wohl eher nicht! Meinem Co-Chefredakteur teilte ich mit, dass ich NICHT über „Look up, I’m Down There“ schreiben werde, dazu erzählte ich ihm meine Beweggründe. Seine Antwort beruhigte mich. Er sagte: „Stehst du dir nicht selbst ein wenig im Weg? Wofür schreiben wir Rezensionen? In erster Linie schreibe ich für mich und unsere Leser.“ Ein schlauer Mann! Ich war wirklich sehr traurig, denn eine bessere Review werde ich niemals verfassen. Gut, ich schreibe wirklich keine perfekten Artikel, aber ich schreibe, weil es mir Spaß macht. – I’ll never be good enough – Aufgrund dessen beschloss ich für mich dennoch einen letzten Artikel über eine Band zu schreiben, deren Musik mich fast ein Leben lang begleitete. Hiermit veröffentliche ich eine etwas andere Review. ————————————————————————————————————————————————– Die Pitchfork – Geschwister In einem Dorf lebten in einem zerrüttenden Elternhaus ein Bruder und seine Schwester. Die Schwester bekam auf einer Dorfparty an einem Lagerfeuer ein selbst aufgenommenes Tape in die Hand gedrückt mit der Aufschrift „Project Pitchfork – Entitis“. Über Kopfhörer hörte sie den pitchforkischen Klängen und war fortan gefesselt. marcus05-kopie2Von ihrem Essengeld kaufte sie sich die CD. Hinzu kamen von weiteren Essen- und Taschengeldern sowie den Geldgeschenken der Großeltern weitere CDs. Es war ihr eine gute Investition. Ihr Bruder allerdings stahl sich ihre harterkauften CDs und es wurde sich darum geprügelt. Der Bruder gewann. Die Schwester war zu zart, um dagegen anzukommen. Die Prozedur ging von neuem los. Essengeld, Taschengeld und das Geld der Großeltern wurde in die CDs gesteckt, die ihr von ihrem Bruder geklaut wurden. Die gegenüberliegenden „Kinderzimmer“ wurden entsprechend der Band angemessen gestaltet. Hier ein Fork, da ein Fork, überall Forks Forks Forks. Sie bastelten sich die „Gabeln“ aus Holz, Ton und Papier. Jeder hörte in den Zimmern die Musik von Project Pitchfork. Im Jahre 1995 wurde die Schwester 15 Jahre alt. Als Geschenk bekam sie von ihrem Bruder ein Ticket zum Konzert der „Chakra: Red“ Tour. Ein Besucher des Konzertes hob die Schwester auch hoch, damit sie etwas sehen konnte. Es fanden auch ihre ersten Tanzversuche statt, sehr holprig, aber sie tanzte. Ihr Bruder suchte sich eine andere Stelle, da er nicht mit seiner Schwester gesehen werden wollte, denn ihre Nase war zu weiß gepudert und die Augen zu schwarz unterlegt. Später saßen die Geschwister gemeinsam vor dem Spiegel und schminkten sich die Augen schwarz, trugen lange Mäntel. Die Schwester schenkte dem Bruder den ersten Mantel. Als einmal des Nächtens der Bruder in ihr Zimmer kam, da er Liebeskummer hatte, beruhigte die Schwester ihn. Er sagte: „Irgendwann wirst du einmal über mich schreiben.“ Mit 18 Jahren zog er aus den Fängen der narzisstischen, bösen Mutter aus. Er wohnte dann bei der Oma und die Schwester war sehr neidisch, da sie auch lieber weg wollte. Denn alles woran sie sich fest hielt, waren ihr Bruder und die Musik. Die Geschwister waren für die Mutter und den Stiefvater nur eine Last. Sie durfte aber nicht ausziehen. Wenn die Pitchfork-Geschwister zusammen waren, dann hörten sie die Musik und sprachen miteinander. Sie hatten letztendlich nur sich und die Musik. pp-marcusDas Moped der Schwester zierte das Logo. Das Auto des Bruders zierte die Aufschrift. Der Bruder hatte eine Wohnung, aber kaum Geld. Eines Tages rief er sie an und bat um etwas zu essen. Die Schwester fuhr sofort mit dem Moped einkaufen und drückte ihm noch ihre letzten 10 D-Mark in die Hand. Mehr hatte sie nicht, da sie nur ein kleines Taschengeld bekam, denn sie hatte noch nicht die Ausbildungsstelle. Eines Tages hatte die Schwester beinahe einen Unfall mit dem Moped, denn sie war völlig verwirrt. Ihr wurde im Gespräch gesagt, dass sie die Lehrstelle nicht bekommen würde, wenn sie sich nicht zusammen reißen würde. Sie klingelte ihren Bruder aus der elterlichen Wohnung seiner Freundin und sie saßen auf der Bank. Sie weinte und sie sprachen sich aus. Dazu entschuldigte er sich bei ihr, da er sie oft geschlagen hatte. Aber er wusste es nicht besser. Er wusste nicht mit der Situation umzugehen, die die „Eltern“ an den Tag legten. Sie hatten es beide nicht leicht und sie war der Puffer – leider. Sie verzieh ihm. Ein paar Monate später wollte die Schwester zum Ausbildungsort gehen. Ihr Bruder und sie telefonierten miteinander. Sie sah von weitem sein Auto mit dem Pitchfork-Logo. Er winkte ihr aus dem Auto heraus und durch den Hörer kam: „Ihh, du trägst ja ein weißes T-Shirt!“ Das waren auch die letzten Worte, die sie je von ihrem Bruder hörte… Keine paar Tage später … marcus04-kopieAuf Arbeit wurde eine Arbeitskollegin nach Hause geschickt, da ihr Sohn einen Unfall hatte. Als die Schwester nach der Spätschicht zuhause ankam, stand der Stiefvater am Fenster. Die Schwester ging in ihr Zimmer. Ihr Handy ertönte eine halbe Stunde später, der Vater rief an. „Ich glaube, dein Bruder hatte einen Unfall!“ Die Schwester rannte panisch in die Küche und sagte es dem Stiefvater. Er sagte nur: „Ich weiß, deine Mutter ist im Krankenhaus!“ Da ließ er sie wirklich so stehen und selbst zuvor sagte er nichts. Sie war bereits eine halbe Stunde da und er ließ sie links liegen. Die Schwester machte sich höllische Sorgen. Als die Mutter gegen 1 Uhr nach Hause kam, rannte die Schwester zu ihr. Sie sagte, dass es einen schweren Unfall gab. Er liegt an Schläuchen und die Schädeldecke fehlt. Wenn er wieder werden würde, dann wäre er ein Pflegefall. An einem Donnerstag sprach die Schwester noch zu ihren Kollegen, dass sie am Wochenende ins Krankenhaus fahren würde, um ihren Bruder zu sehen. Als die Pause beendet war, kam die Chefin in den Pausenraum und sah sie an. Die Chefin öffnete nur ihre Arme und sagte ihr leise, dass er gestorben wäre. Die Schwester brüllte nur noch „Nein!“ und brach zusammen. Die Chefin hielt sie fest. Auf der Beerdigung wurde „Souls“ von Project Pitchfork gespielt. Ein Teil des Songtextes wurde übersetzt und auf der Trauerfeier zu Beginn vorgetragen. Zuhause hörte sie oft „December Sadness“. Ihre Oma erzählte, wie ihr Opa weinend auf dem Bett saß und sein Foto an sein Herz hielt. Auch die Oma sprach an seinem Grab, wann er sie denn wieder besuchen kommen würde. Er antworte: „Oma, ich würde ja gerne, aber ich kann nicht!“ marcus-kopieEin Jahr später wurde das Urteil bekannt gegeben. Der Unfall-Verursacher war der Sohn der Kollegin. Weil ihr Sohn so „ein Guter“ war, bekam er nur eine Strafe von 1000 DM (500 Euro). 500 Euro für ein Menschenleben, dazu wurde vor dem Richter gelogen. Der verstorbene Bruder stand in den Akten und war laut Gesetz kein „Guter“. Die Kollegin sagte ihr später, dass ihr Bruder nicht angeschnallt gewesen wäre. Was aber nicht sein kann, da er angeschnallt war. Denn der Augenzeuge, ein guter Freund beobachtete den Unfall. Er erzählte ihr vor der Gerichtsverhandlung, dass der Verursacher mit 200kmh in die Kurve brach und er ins Auto ihres Bruders reindrosch. Das Auto überschlug sich mehrmals. Als der Freund ausstieg, um ihren Bruder zu helfen, zirpte keine Grille, kein Vogel sang. Stille. Er rannte zum Auto, befreite ihn von dem Gurt und holte die Glasscherben aus dem Mund. Vor Gericht wurde er nicht angehört, denn er war ebenso laut Gesetz kein „Guter“. Punk, eben! marcusbeaDie Schwester ging sehr oft zum Grab. Sie redete dort. Immer, wenn es ihr schlecht ging und sie jemanden zum Reden brauchte, so ging sie zu seinem Grab, auch mal nur so oder wenn es ein neues Pitchfork-Album gab, wie „Look Up, I‘m Down There“. Sie erzählte ihm von dem Facebook-Post, dass es sie grämte. Und er antwortete mit „The Hint“. Passt ja, dachte sie und musste grinsen. Sie spielte ihm das Album vor. Der erste Song „Into Orbit“ würde ihr bekannt vorkommen. Durch ihren Kopf durchströmte ein Song von der „Souls/Island“-Platte – „Caught in the Abattoir“. Das ist es, genau. Dazu erzählte sie ihm, dass „Pandora“ auch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Song hätte. Ihm fielen sogar zwei Songs ein. „Mine/Beast of Prey“(Daimonion) sowie „I live your Dream“(Eon:Eon). Bei diesem Lied muss sie immer schmunzeln, da sie es laut früh morgens auf dem Weg zur Arbeit sang, um die „Clowns“ abzuschrecken, die in letzter Zeit ihr Unwesen in den Städten trieben. Aber ihr „Lieblingslied“ auf der CD wäre „Volcano“, dazu hatte er nichts einzuwenden. „Titanes“ ist auch noch ein gutes Stück, aber sonst findet sie das Album nicht so pralle. Die Fans lieben es! Sie spielte ihm noch „Souls“ vor und sagte vor seinem Grabstein, dass sie ihn unendlich vermisst. Auch 15 Jahre später. Es wird ihr immer so vorkommen als ob es erst gestern gewesen wäre, dass sie vor dem weißen Sarg saß! ———————————————————————————————– Fazit: Es ist von fast allen vergangenen Alben etwas dabei. Ein bisschen „Chakra:Red“, etwas „Black“, dennoch ist es kein (musik)weltbewegendes Album. Dazu ist es mir zu experimentierfreudig (Bsp. „Exile“), so dass es zu kitschig wirkt. Das war nun mein letzter Artikel zu dieser Band. Ich werde aber weiterhin die Alben „für uns“ kaufen, auch die noch fehlen. Im Übrigen eignet sich Pitchfork gut zum Auto fahren. Mein Auto ziert keinen Fork, sondern ein Slipknot Aufkleber, dennoch beruhigt mich die Musik von Project Pitchfork beim Auto fahren ungemein.
Schlagwörter:




Previous Post

feines Vinyl 15: Queen - On Air

Next Post

Sia





You might also like


More Story

feines Vinyl 15: Queen - On Air

Fast schon ist es zur Tradition geworden, dass die drei (zwei) übrigen Queen Mitglieder Schätze aus ihrer Vergangenheit...

November 21, 2016