Breaking

CASPER – Mächtige Präsidenten sind Echsen, in Verkleidungen – Album/ Lang lebe der Tod

Rezensionen / September 22, 2017

Von einem Jungen, dem es sichtlich schwer fiel, die deutsche Sprache zu erlernen, hin zu einem Juwel der deutschen Hip-Hop-Szene: 4 Jahre hat er uns hingehalten, doch nun verteilt Mr. Griffey endlich wieder üppig Küsschen.

Longplayer 5 steht in den Läden und der smarte deutsch-amerikanische Rapper Casper (34) überrascht mit ungewohnten Tönen & Klängen – ein klarer Schnitt in seinem bisherigen Werdegang.

Bereits der legendäre Opener ‚Lang lebe der Tod‘, mit dem dazugehörigen nicht minder morbiden Video (erschienen im Juni 2016) sorgte für großes Aufsehen. Ein Meisterwerk, das noch lange seines Gleichen suchen wird, in der heutigen Hip-Hop Szene. Niemand geringeres als Blixa Bargeld, Dagobert & Sizzar geben sich hier die Klinke in die Hand. Der Atem stockt, Gänsehaut pur – der Text: Ein unverzerrter Blick in den Spiegel unserer verkommenen Gesellschaft:

„Lass die Hunde los! Will sehen, wie Die flehen, Die sollen bluten, los! Dafür hab’n wir gezahlt, wir hab’n guten Grund! Gutes Geld, verdammt! Gib Ihm die Kugel schon!“

Hier trifft unnachahmbarer Hip-Hop/ Rap auf Rock, Moritatengesang und Streichinstrumente. Und nachdem bereits jetzt klar ist, dass sich dieses Meisterwerk musikalisch enorm von seinem Vorgänger unterscheiden wird, scheint Casper es geradezu auf die Spitze treiben zu wollen. Von Stillstand keine Spur! Vielmehr die Absicht, mit messerscharfer Klinge die Geister zu scheiden, die er einst gerufen hat.

Das Ende August 2017 erschienene Stück ‚Alles ist erleuchtet‘ treibt die Platte sofort voran. Warnhinweis: Genrewechsel um 180° Grad! Den plötzlichen und unerwarteten Wechsel hätte man eventuell mit dem vorletzten Track an dieser Stelle etwas dämpfen können oder man hatte die Absicht, den Schlag in die eigene Fresse unverzichtbar zu machen?! „Satan trägt weder Prada, noch Primark, sondern Orange“. Ein klares Statement, inklusive eines gekonnten Seitenhiebs an den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten.

„Fühl mich, wie ich fühl‘, weil ich nicht’s mehr fühl'“ heißt es in „Keine Angst“ (veröffentlicht im Juli 2017). Lüge! Denn hier haben wir ein Lied zum Verlieben und das nicht zuletzt durch den Refrain von Mitsänger Drangsal sowohl im Ohr als auch im Herzen bleibt. Ein Song, der neu und frisch klingt und gleichzeitig in alter, melancholischer XOXO (2011) – Manier daherkommt, ohne in seinem Schwermut trostlos zu klingen.

Nach dem (aus dem im Juni 2017 erschienenen Video) bekannten Prolog folgt nun das umstrittene ‚Sirenen‘. Ballernde Beats, zynische Strophen über unseren liebsten „Freund & Helfer“ und kreischende Gitarrenriffs. Dass gerade dieser Song dem ein oder anderen nicht die versprochene Erwartung befriedigte, die mit dem bereits da 1 Jahr altem Vorgänger ‚Lang lebe der Tod‘ gesät wurde, ist nachvollziehbar. Textlich noch etwas ausbaufähig, aber wieder ein Lied, was beweist, dass Casper es nicht nur gewagt, sondern vor allem geschafft hat, neue, unbekannte Wege mit Bravur zu beschreiten. Ein einzigartiges Juwel!

Was folgt, sind 4:43min – Geschmackssache. Das Feature von Portugal. The man & Ahzumjot gestaltet sich für diesen Track eher kontraproduktiv. ‚Lass Sie gehen‘ weist 1-2 interessante, musikalische Übergänge und Textstellen auf – hätte im Ganzen aber besser ausfallen können.

Als Casper sich über den Begriff ‚Morgellon(’s)“ informiert hat, dachte er sich augenscheinlich dasselbe wie: WTF?! Einer der mit Abstand stärksten Tracks ist eine meisterliche Hommage an unsere eifrigen Verschwörungstheoretiker. Mit Zwinkern in den feucht-nassen Augen und dem Finger auf dem Repeat-Knopf, fragt man sich schlussendlich: Ist auch Casper Teil der globalen Verschwörung? Nur eins steht fest: „Dunkele Mächte sind dahinter, vielleicht sogar der Zuckerberg“

Mit Track 08 ‚Wo die wilden Maden graben‘ kommt dann noch ein heftiger Seitenhieb auf der ansonsten elektronisch angehauchten Platte: Rockmusik vom Feinsten! Wer bislang glaubte, Casper wäre nicht bandfähig, wird hier sehr schnell eines Besserem belehrt. Ein Song, der selbst dem verbissensten Zweifler die Argumente aus dem Mund reißen sollte! Natürlich nicht ohne den gewohnten Eulenspiegel – ‚Alles was ich will, ist kein Teil von euch sein – nein. In den Kreis pass‘ ich einfach nicht rein. Party bis die Blase platzt, oder Nasenwand reißt – fein! Da bleib ich gerne allein‘.

Melancholisch und bedrückend geht es mit ‚Deborah‘ weiter – einem sehr guten Song, der nur textlich ungewohnt flach daherkommt. Sein Nachfolger ‚Meine Kündigung‘ hat zwar textlich mehr Stärken, schafft es aber weder gesangstechnisch noch musikalisch an den Rest des Albums anzuknüpfen. Schade, dass bei diesem meisterlichen Kunstwerk nun umso mehr die Sollbruchstellen zum Vorschein kommen und das Gesamtbild ein klein wenig schmälern.

Mit dem eigensinnigem Songtitel ‚Flackern, Flimmern.‘ endet die neue Scheibe mit einem satten 6:19min Track. Musikalisch sehr angeknüpft an die beiden Vorgänger. Dafür muss man zugeben, dass es sich hierbei um einen sehr deprimierenden Song handelt, der textlich als auch musikalisch felsenfest steht und auch als letzten Song auf einem Album mit dem Namen „Lang lebe der Tod“ gut einzuordnen ist. Oldstyle-Casper, um noch einmal mit den alten Fans auf Du-und-Du zurückzugehen? Eventuell hätte eine bessere Aufteilung der Songs mehr Abwechslung gebracht – eine Kritik, die ich allerdings an vielen Bands und ihre Platten knüpfe. Ein Ende mit verzerrten Schreien und vielleicht auch wenig zu viel Bassdrum. Im Ganzem aber passabel.

Und wer nach dieser schweren Kost noch einen Nachschlag braucht: Auf CD02 befinden sich nicht weniger als 20 Songs, Live aufgenommen aus dem Westfalenpark Dortmund. Lasst es euch schmecken!
Schlagwörter:




Previous Post

Fantasma Goria - Fantasma Goria

Next Post

Mike & the Mechanics begeistern in Leipzig




More Story

Fantasma Goria - Fantasma Goria

Auf dem in Magenta gehaltenen Cover pustet sie frivol an das Mikrofon, welches eine Knarre darstellt. Bitch Bizarre lädt...

September 21, 2017