Was macht man Nachts, wenn man nicht schlafen kann? Manch einer fängt an zu putzen, manch einer schaut einen Film. Der Filmkomponist Craig Armstrong hat sich hingesetzt und ein Pianoalbum aufgenommen: „Nocturnes – Music for 2 Pianos“
Armstrong, der vor allem als Arrangeur für Bands wie U2 oder Massive Attack bzw. als Filmkomponist bekannt geworden ist, nutzte die Zeit des Lockdowns 2020 zum Nachdenken und zum Arbeiten. Der Lockdown brachte eine völlig andere Arbeitssituation für den Briten. Im EPK zu „Nocturnes“ erklärt er seine Arbeitsweise: „Durch den Lockdown kam ich nie dazu, tagsüber zu schreiben, so dass alle 14 Tracks zwischen 21 Uhr und der Morgendämmerung entstanden sind. Ich folgte diesem Ablauf, und nur meine Tochter war ab und zu wach, um mir etwas Gesellschaft zu leisten. Es herrschte eine wirklich seltsame Atmosphäre während dieses ersten Lockdowns: Wenn ich normalerweise gegen 23 Uhr spazieren gehe, ist es für gewöhnlich sehr ruhig – nun war die Zeit geprägt von vorbeifahrenden Krankenwagen. Zurück in meinem Studio im Keller arbeitete ich die ganze Nacht hindurch, schrieb vier Tracks, ließ sie für eine Weile ruhen, und wenn ich die Arbeit dann wieder aufnahm, wurde mir bewusst, dass es die Musik war, die es mir ermöglichte, alles andere für eine Weile gänzlich zu vergessen. In gewisser Weise habe ich das Album also eher für mich geschrieben – als eine Art Flucht – und je weiter der Prozess fortschritt, desto mehr dachte ich, dass es vielleicht auch anderen Menschen Trost spenden könnte.”
Craig Armstrong stellt den geneigten Hörer jedoch vor ein Problem. Wann und wie sollte man „Nocturnes“ hören? Der Verfasser hat versucht die Situation Armstrongs nachzuempfinden. Nachts wenn die Familie schläft, Platte auf den Teller und hingesetzt. Glas Wein und einfach die Augen schließen. Nein, es soll nicht heißen, dass es ein Album für die Nacht ist. Es erzeugt nur eine spezielle, besonders aufmerksame Stimmung.
Die 14 durchnummerierten Stücke schmiegen sich zart an. Sanfte Klänge, kein Drama. Man fängt an nachzudenken. Gedanken kreisen wie die Leitthemen der Stücke. Ein zweiter, dritter Durchlauf und man bekommt ein Gefühl, warum Armstrong so arbeitete. Seine Musik wird zu einem eigenen Soundtrack. Sie führt nicht, sie lässt sich führen. Und mit jedem Durchlauf entstehen neue Filme. Hört man das Album tagsüber, entfaltet es wieder eine andere Wirkung. Die leichte Melancholie der Nacht verfliegt und es kommt sogar Optimismus auf. Selten hat eine derart sparsam instrumentierte Platte so viele stimmungsvolle Facetten.
Was will man auch anderes von einem erfahrenen Filmkomponisten erwarten. Ein Anwärter auf das Album des Jahres.
Schlagwörter: craig armstrong
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