
Ich gebe zu, mit griechischem Death Metal kenne ich mich nun wirklich nicht sonderlich gut aus. Von daher war ich auch zunächst recht ahnungslos darüber, was mich wohl bei Nightrage erwarten würde, immerhin wird dieser Aspekt im Besetzungsgefüge der Band stark betont. Und betrachtet man die Band-Geschichte, dann ist das durchaus gerechtfertigt. Immerhin starteten Nightrage im Jahr 2000 als griechisch-schwedisches Projekt unter Leitung von Mastermind Gus G. (der neben seiner Power Metal-Truppe Firewind vor allem als aktueller Gitarrist von Ozzy Osbourne bekannt sein dürfte) und Gitarrist Marios Iliopoulos. Schon auf dem Debüt „Sweet Vengeance“ zeigte die Band allerdings mit der damaligen Besetzung aus Tomas Lindberg (At The Gates), Brice Leclercq (u.a. Dissection), Tom S. Englund (Evergrey) und Per Möller Jensen (The Haunted) wo der hauptsächliche musikalische Fokus liegt. Melodischer Death Metal der urtypisch schwedischen Prägung war angesagt und wurde konsequent präsentiert.
Betrachtet man sich nun die Besetzung zum aktuellen Output „The Puritan“ ist der Schweden-Anteil sogar nochmal deutlicher ausgeprägt. Von der Ur-Truppe ist lediglich Gitarrist Iliopoulos übrig geblieben, der in der Rumpfbesetzung von Bassist Anders Hammer und Neu-Sänger Ronnie Nyman (Always War) unterstützt wird.
Die musikalische Ausrichtung von „The Puritan“ ist nach wie vor mehr als deutlich umrissen. Präsentiert wird vorwiegend Schwedentod der Göteborger Schule. Das ist natürlich alles andere als eine bahnbrechende musikalische Revolution. Aber manchmal ist ordentlich zitiert besser als schlecht selbst gemacht. Und nach mehreren Durchgängen von „The Puritan“ steht definitiv fest: Nightrage haben ihre Hausaufgaben mit Bravour gemacht!
Schon der Opener und Titeltrack leitet „The Puritan“ amtlich ein: Nach einem kurzen Gitarrenintro in bestem Old-School-Entombed-Sound wird erstmal kompromisslos nach vorne geprügelt. Im galoppierenden Trash-Beat, unterlegt von einem feinen Gitarrenlead, stürmt der Song zum Refrain, der dann auch angemessen episch präsentiert wird. Sauberer Einstieg mit genau der richtigen Mischung aus Aggression und Epik!
Und in dieser Richtung geht es munter weiter. Da finden sich pfeilschnelle Brecher wie „With A Blade Of A Knive“ oder „Son Of Sorrow“ neben effektiv gedrosselten Knüppel-Tracks wie „Fathomless“ und „Endless Night“. Und auch für ein getragenes Zwischenspiel in Form von „Lone Lake“ ist Platz. Stilistisch ist also alles vertreten, was der geneigte Freund von zünftig-melodischen schwedischen Death Metal erwartet.
Die Tatsache, dass man sich stilistisch immer wieder nah den einzelnen Szene-Vorbildern annähert sorgt zusätzlich für einen gewissen Wohlfühl-Faktor. Ganz oben auf der Einfluss-Liste stehen sicherlich die Göteborg-Vorreiter In Flames, insbesondere in ihrer Phase bis einschließlich „Clayman“. Vor allem bei „Endless Night“ würde sich auch perfekt auf „The Jester Race“ machen und „Desperate Vows“ haut stilistisch in die Lücke zwischen „Colony“ und „Clayman“. Doch die Liste endet dort noch lange nicht. „Stare Into Infinity“ und „Son Of Sorrow“ könnten sich auch ohne Probleme auf einem Arch Enemy-Album einfügen, während „Kiss Of A Sycophant“ und „Foul Vile Life“ sich stilistisch irgendwo zwischen Dark Tranquillity und Soilwork einpendeln.
Natürlich kann man sich jetzt darüber streiten, ob solch ausgiebiges musikalisches zitieren wirklich noch als Qualitätsmerkmal durchgehen kann und darf, oder ob man hier den Strich ziehen und „The Puritan“ wegen dem Fehlen von etwas wirklich neuem, komplett eigenständigem in Grund und Boden schreiben sollte. Nüchtern betrachtet muss man aber festhalten, dass Nightrage mit der hier dargebotenen musikalischen Mischung eine zwar nicht unbedingt eigenständige, aber dafür abwechslungsreiche Melodic Death Metal-Vollbedienung abliefern, die für Genre-Freunde keine Wünsche offen lässt und so ziemlich jede Nuance des Genres abdeckt. Bis auf das arg durchschnittliche und gleichförmige „When Gold Turns To Rust“ (bei dem ausgerechnet Ex-Gitarrero Gus G. ein Gastspiel gibt) bietet „The Puritan“ Songs im gehobenen Mittelfeld mit einigen sehr guten Ausreißern nach oben.
Und damit ist dann auch das Fazit schnell gefunden: „The Puritan“ ist eine reinrassige Genre-Platte, nicht mehr und nicht weniger. Melodic Death Metal-Fans dürfen dabei bedenkenlos zugreifen und Genre-Fremde Musikfreunde sollten zumindest mal ein Ohr riskieren. Enttäuscht werden sie sicherlich nicht!