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WORST OF JENNIFER ROSTOCK

Female Voices / Rezensionen / Oktober 2, 2017
– Wunden brauchen Salz, mein Lieber & Zitrone und Tequila

Spätestens zum 10. Jubiläum folgt ES – das berühmt/berüchtigte BEST OF Album. In unserer schnelllebigen Zeit, in der dieses fast schon biblische Alter nur die wenigsten Bands (unbeschadet) überstehen, greift man gern auch schon vorher zu den verlässlichen Verkaufsschlagern.

‚DAS BESTE‘ beinhaltet nur leider in den meisten Fällen eine unspektakuläre Anreihung der Songs, die zuvor chronologisch mit Videomaterial veranschaulicht wurden. Wo man Zeit, Geld & Mühen spart, gehen denkwürdige Single B-Seiten oder ungewürdigte Albumjuwelen einfach sang- und klanglos unter.

„Kann doch Jeder!“ – dachten sich wohl auch Jennifer Rostock und drehten den Spieß einfach um.WORST OF JENNIFER ROSTOCK – nennt sich die neue Platte auf der, mutig wie die Herren & Frontfrau Weist waren: alte, liegen gebliebene und eingestaubte Überbleibsel vervollständigt und auf Hochglanz poliert wurden. Kurz um: ein mutiges Experiment, was sich sehen und vor allem hören lassen kann!

„Oh Gott, Kommerz – was ist nur aus der Band geworden?“ – schallte es bereits im August 2017 lauthals, durch die Foren, als passend zur Ankündigung das Video zu „Alles Cool“ veröffentlicht wurde. Seichter Xylophon-Pop/Rock, spärliche Einblendung unwichtiger Bandmitglieder und eine Dame, mit leuchtenden Retro-Boots, im rosa Body, die süffisant über den Verflossenen wettert. Weit gefehlt, meine Lieben! Was hier wie eine tätowierte Version von Bibi’s Beauty Palace wirkt, ist Satire auf höchstem Niveau! Nicht zuletzt auch textlich wieder ein Genuss:

„Wie schön, dass wir uns wiederseh’n und jetzt so gut wie nie versteh’n. Schön, dass wir da drübersteh’n wir zwei. Und nein, das ist nicht ernst gemeint, was ich dir nachts besoffen schreib‘. Ich wünsch‘ doch nur das Beste für euch zwei“

„Aufsteh’n und saufen!“ heißt es im zweiten Track ‚Flaschendrehen‘ Und wenn man den Ball einmal zu hart über die Schnur schlägt und die Frechheit keine Grenzen mehr kennt: bleibt von Ramones bis Nena keiner verschont! Geklaute Beats, geklaute Textzeilen und sogar der ehrwürdige Udo Lindenberg wurde kurzerhand als Feature einkassiert. Hier erwartet uns Spaß pur und ein neuer Einblick in die musikalischen Tiefen vom WORST OF. Wenn das nicht mal der neue Hit beim heimischen Vorglühen wird?!

Wer die Platte ‚Ins offene Messer‘ (2008) noch im Schrank stehen hat, sollte sich bei 03. ‚Schockverliebt‘ an alte Zeiten erinnert fühlen. Textlich eine Granate, quasi DER Song zum Abgehen und sicherlich zukünftiger Stimmungsmacher auf jedem Live-Gig. Das Spiel mit den Redewendungen, wofür die Band berühmt wurde und die unverbrauchte Frische, die hier an den Tag gelegt wird, beweisen einmal wieder, dass man alle Register gezogen hat.

Mit dem recht ungewöhnlichem Titel ‚Dschungel‘ (oder liegt es an der deutschen Schreibweise?) präsentieren Jennifer Rostock meinen heimlichen Höhepunkt der Platte. Gänsehaut pur! Eine Rockballade, die von Selbstzweifeln und Existenzängsten spricht und dabei mit jeder Silbe, die Frau Weist von den Lippen kommt, tiefe Kerben schlägt. Was hier präsentiert wird, ist einer der stärksten Songs, die die Band bislang produziert hat.

Irgendwo im ‚Polarmeer‘ geht es genauso stark, wenn auch etwas zügiger als im ‚Dschungel‘ weiter. Wirkt der elektronische Spezialeffekt im Refrain beim ersten Mal hören vielleicht etwas überzogen, zeigt dieser Dauerkracher erneut, was an textlichen Spielereien möglich ist und dass es nicht nur herkömmliche Balladen der Band verstehen, mit bittersüßemTrennungstext zu polarisieren.

‚Wenn ich dein Gesicht seh, denk ich an meine Faust‘ verspricht, auf gerade einmal 0:58min, nicht nur der mit Abstand kürzeste, sondern auch härteste Track der bisherigen Laufbahn zu werden.

Track 07 ‚Weltbilder‘ kommt hingegen mit einem schlichtem Piano-Gesangs-Duett von Jennifer und Joe aus. Klassisch und doch nicht ohne das gewisse Etwas.

„Und ein halbleeres Weinglas, ist besser als kein Glas“ – gesagt, getan! Denn eine Woche vor CD- Release wurde man plötzlich a-typisch radiotauglich. Jennifer Rostock in zweisilbigen Ausgangsreimen und Mainstreamqualität? Was mit Songs wie ‚Wir waren hier‘ schon auf dem Vorgänger Album ungewohnt daher kam, wurde hier mit viel Synth-Pop-Flair knallhart perfektioniert. Hier werden Mauern eingerissen und neue Wege beschritten.

Auch der dritte Teil der ‚Schlaflos‘-Trilogie hält sein Versprechen und wirft erneut die Frage auf: Weshalb man so einen lebendigen, kraftvollen Song unbedingt auf ein WORST OF stecken musste. Entgegen des pianolastigen ‚Schlaflos‘ und dem akustisch-stilisierten ‚Schlaflos Pt.2‘, bezaubert ‚Schlaflos Pt.3‘ mit stark elektronischen Impulsen, die schlussendlich die Elemente der ersten beiden Teile abschließt. Dazu ein verrauchter Gesang, wie von unzähligen, überzogenen Nächten: müde, erschöpft und gleichzeitig ein Kribbeln unter der Haut verbreitend.

‚Blicke auf die tickenden Uhr’n – Zeit ist ein H****sohn‘. Am Schluss klingt es wie ein Abschied für Immer. Einen melancholischen Rückblick auf (die Vergänglichkeit der) letzten 10 Jahre gibt uns ‚Die guten, alten Zeiten‘ und hinterlässt ein lächelndes und ein weinendes Auge. Bemerkenswert an diesem starken Song ist vor allem die gekonnt ausbalancierte Waage zwischen elektronischen Verzerrungen und harten Gitarrenriffs.

Bonus: Eingefleischte Fans der Wahlberliner haben das Bonusmaterial natürlich bereits aus diversen Videoportalen der letzten Jahre gekannt. So startet Track 11 mit dem 2015 veröffentlichten ‚Liebe BILD‘ – Frau Weist’s schlagfertige Antwort auf ihren umstrittenen Blankzieher beim Nova Rock2015.

Skandalös geht’s auch weiter – mit einem Beitrag,der bereits 2016 auf politischer Ebene Wellen schlug und der Band nicht nur Zuspruch, sondern auch Drohbriefe & eine aberwitzig-schlechte Parodie (einer AfD-Fanatikerin namens Melanie Halle) einbrachte – ‚Wählt die AfD‘.

Apropos aberwitzige Parodien: Nachdem sich BassSultanHengzt 2017 mit ‚Stute‘ sexuell abfällig zu Jennifer Rostock’s Song ‚Hengstin‘ geäußert hatte, folgte prompt ‚Neider machen Leute (Version 2017)‘

Last aber definitiv not but least – Grossstadtgeflüster feat. Jennifer Weist. Und was passiert, wenn zwei solche Größen für eine Charity-Aktion, Dezember 2016, aufeinander treffen und zusammen ins Studio gehen? Klar! ‚Keine Macht den Profi’s‘ – Ein belustigendes Statement, das der Platte noch einmal den letzten Schliff verleiht.

Also her mit dem Dübel, Sekt entkorken und die Platte feiern, bis die Kotze sauer schmeckt! HAPPY BIRTHDAY – 10 JAHRE JENNIFER ROSTOCK!
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