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Gavin Harrison – Cheating The Polygraph

Ankündigungen / Rezensionen / April 20, 2015
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Gavin Harrison. „Gavin wer?“ fragen sich jetzt vielleicht einige Leser. Deshalb hier jetzt für alle eine kurze Info: Gavin Harrison, britischer Drummer, Allround-Talent und maßgeblich an der Entstehung der wichtigsten Alben einer anderen britischen Band beteiligt: Porcupine Tree. Ja, genau die Neo-Prog-Truppe um Bandkopf und Tausendsassa Steven Wilson, die in der ersten Dekade der 2000er mit modernen Klassikern wie „Lightbulb Sun“, „In Absentia“, „Deadwing“ und „Fear Of A Blank Planet“ maßgeblich die Entwicklung der modernen progressiven Rockmusik beeinflusst hat und die sich nach dem 2009er-Release „The Incident“ für unbestimmte Zeit auf Eis legte.

Während Bandkopf Wilson als musikalischer Hansdampf in allen Gassen bereits zu Porcupine Tree-Zeiten mehr als nur ausgelastet war (Blackfield, Produzentenjobs für u.a. Opeth) und sich auch danach neben seiner stetig voranschreitenden Solo-Karriere immer wieder in anderen Projekten austobte (Storm Corrosion, ein Projekt mit Opeth’s Mikael Akerfeldt), war auch Mr Harrison nicht untätig – allerdings bei weitem nicht so sehr im Scheinwerferlicht wie Meister Wilson. Als Sessionmusiker bei u.a. King Crimson, Iggy Pop und Manfred Mann stellte und stellt der Mann ein ums andere Mal sein Talent unter Beweis. Und Schlagzeugspielen, das kann er nun wirklich, der Gute.

Jetzt beschert Gavin Harrison mit „Cheating The Polygraph“ dem geneigten Hörer ein musikalisches Projekt, dass sich auf dem Papier zumindest schonmal recht interessant liest. Zusammen mit einigen der begabtesten Jazz- und Big Band-Musiker (u.a. Saxophonist Nigel Hitchcock und Bassist Laurence Cottle) wurden insgesamt acht Porcupine Tree-Stücke in einem jazzigen Big Band-Gewand über einen Zeitraum von fünf Jahren neu arrangiert und aufgenommen. Kann das funktionieren? Immerhin leben viele Porcupine Tree-Songs gerade von der Mischung aus angenehm zurückhaltender Instrumentierung, dem feinen Gespür für’s musikalische Detail, Steven Wilsons Stimme (und vor allem seinen Lyrics) und den immer wieder auftretenden plötzlichen Eruptionen von aggressiven Einschüben. Funktioniert die Transformation von ursprünglich eher düsteren Songs in relaxt swingende Instrumental-Kompositionen?

Die Antwort muss hier leider lauten: Ja, aber nur bedingt. Die eröffnende Version von „What Happens Now?“ ist zunächst zwar für den Porcupine Tree-Hörer durchaus gewöhnungsbedürftig, entwickelt dann aber seine ganz eigene Faszination. Durch die Instrumentierung fühlt man sich ein ums andere Mal an typische 70er-Krimi-Serien erinnert. Gavin Harrison mit Backenbart im schicken Musclecar – auch kein schlechtes Bild. Die Drums des Meisters präsentieren sich hier, wie auch auf dem Rest des Albums, als treibende Kraft hinter dem Song, bei ihnen ist der Porcupine Tree-Einschlag am deutlichsten wahrnehmbar. Doch damit sind wir auch schon beim Hauptproblem von „Cheating The Polygraph“: Der Aufbau der Songs beißt sich streckenweise doch deutlich mit der Instrumentierung. Gerade beim zweiten Track, einer Neuinterpretation von „The Sound Of Muzak“ und „So Called Friend“ wird dies deutlich. Nach gutem Beginn (das typische Drum-Pattern und Riff sind vorhanden), kleistert die Bläser-Sektion den Song leider vollends zu, die Feinheiten gehen verloren und die Magie des Songs (im Original eines der stärksten Porcupine Tree-Stücke überhaupt) bleibt auf der Strecke. Und so durchwachsen geht es weiter. Wirklich gelungenen Neuinterpretationen wie dem schön relaxt gehaltenen „Heartattack In A Layby/Creator Has A Mastertape“ oder „Hatesong (Halo)“ stehen eher durchschnittliche, auch leider gerne mal an der Grenze zum Ausfall kratzende Versionen von „Start Of Something Beautiful“ oder „The Pills I’m Taking“ entgegen.

„Cheating The Polygraph“ krankt dabei an der selben Krankheit wie ähnliche Experimente, bei denen Rocksongs wahlweise umarrangiert und in neuem musikalischen Gewand präsentiert werden, oder aber durch eine Erweiterung des musikalischen Repertoires aufgewertet werden sollen. Das kann sehr gut funktionieren (ich erinnere mich an eine Akustik-Show von Pain Of Salvation, bei der gerade die düstersten Stücke zu wunderbar beschwingten Halb-Jazz-Nummern umgemodelt wurden). Es kann aber auch fürchterlich in die Hose gehen (die Herren von Metallica können davon ein Liedchen singen, siehe den streckenweise arg zerfahrenen „S&M“-Versuch, oder das komplett zerschossene „Lulu“-Projekt mit Lou Reed).

Gavin Harrison setzt sich mit seinem Projekt nun irgendwo zwischen die Stühle. „Cheating The Polygraph“ ist sehr jazz-lastig, vor allem was die Instrumentierung abseits der Drums angeht – generell nichts schlechtes, sondern nur gewöhnungsbedürftig. Dadurch, dass die Drums aber größtenteils sehr nah am Original gehalten sind beißen sich die zwei Seiten der musikalischen Medaille gerade in den „härteren“ Passagen umso deutlicher. Eine starke Bläser-Sektion ersetzt nunmal leider keine tiefergestimmten und verstärkten Gitarren. Die Musiker um Harrison verlassen sich bei „Cheating The Polygraph“ meiner Meinung nach ein wenig zu sehr auf die Zugkraft des großen Namens Porcupine Tree (das wird auch im Cover deutlich, dass stark an jenes von „Lightbulb Sun“ erinnert), schaffen es aber nicht immer, diesem Anspruch in den Stücken gerecht zu werden.

Was bleibt mir also für ein Fazit? „Cheating The Polygraph“ ist ein ambitioniertes Projekt, keine Frage. Und ambitionierte Projekte können scheitern, das dürfen sie auch. Man merkt die Mühe, die alle Beteiligten sich bei diesem Album gegeben haben. Manchmal zahlt sich diese aus und manchmal erstickt der an sich gute Ansatz eben unter einem Wust aus Instrumenten. Ich persönlich werde mit „Cheating The Polygraph“ jedenfalls nur bedingt glücklich, Musik-Fans mit einem größeren Herz für swinging-jazzige Big Band-Sounds mögen an der Scheibe mehr gefallen finden. Mir persönlich wäre allerdings ein neues Porcupine Tree-Album unter dem Strich dann doch lieber… Anspieltipps: What Happens Now? Hatesong (Halo) Heartattack In A Layby/The Creator Has A Mastertape
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