Die Lockdowns haben echt spannende Züge angenommen, zumindest musikalisch. Während das Touren für viele Bands unmöglich war, haben sie sich in ihren Studios eingeschlossen und kräftig an ihren Alben gebastelt. So auch Marillion. Sechs Jahre nach dem sie mit „F.E.A.R.“ keine Angst vebreiten wollten, meldet sich das Quintett aus Aylesbury nun mit „An Hour Before It’s Dark“ fulminant zurück.
Die Stunde bevor es dunkel wird – zumeist auch die blaue Stunde genannt, ist geprägt von Frieden und Melancholie. Sie strahlt Ruhe aber auch Nachdenklichkeit aus. Kann man das auf das 20. Marillion Album übertragen? Ja eindeutig. „An Hour Before It’s Dark“ ist geprägt von Hoffnung, Melancholie, Themen die zum Nachdenken anregen aber auch eine Prise Wut. Das klingt nach schwerer Kost. Ist es auch – auf eine gewisse Art. Musikalisch ist es eines der zugänglichsten Marillion Alben der letzten 15 Jahre.
Die Platte beginnt mit dem knapp zehnminütigen Longtrack „Be Hard on Yourself“. Thematisch lehnt sich das epische Stück an das letzte Steven Wilson Album „The Future Bites“ an: das immerwährende Streben der modernen Gesellschaft nach immer mehr Luxus und Konsum. Wer jetzt denkt, dass Marillion hier nur den erhobenen Zeigefinger spielen liegt falsch. Es wird immer wieder ein Weg aus der Krise heraus aufgezeigt. So auch „Murder Machines“ – ein Song der sich mit der Corona Pandemie und der damit einhergehenden sozialen Isolierung der Menschen auseinandersetzt. Der wohl eindrücklichste Song ist „Care“. Steve Hogarth setzt sich hier mit dem Tod und der letzten Stunde davor auseinander – was ebenfalls eine Allegorie auf den Albumtitel ist. Selten war ein Marillion Song derart persönlich.
Technisch spielt das 20. Album der Briten in der obersten Liga. Transparenter Sound trifft Druck. Die zwei 180g Platten liegen plan auf dem Teller und sind exzellent gemastert. Musikalisch holen die 5 Musiker alles heraus. Neben epischen Momenten in „Be Hard on Yourself“, die zum gewohnten Klangbild von Marillion gehören, gibt es auch mal wieder richtigen Rock. „Reprogram the Gene“ ist geprägt von harten Gitarren und Shouts von Steve Hogarth. Rothery kann sich bis zur Erschöpfung aussolieren und selbst ein Ian Mosley ist präsenter als je zuvor.
„An Hour Before It’s Dark“ ist ein Album was genau in diese Zeit passt. Wir leben in einer hochtechnisierten Zeit und gleichzeitig ist unsere Gesellschaft aufgeklärt genug um eigentlich in Frieden leben zu können. Doch schafft es die Menschheit aktuell nicht den Schalter umzulegen. Die technischen und kognitiven Möglichkeiten haben wir. Und genau da setzen Marillion an. Ein Album, das zum Nachdenken anregt und gleichzeitig noch eine gewaltige Portion Optimismus verbreitet. Dass diese Message ankommt, beweisen die aktuellen Charts. Europaweit ist die Platte weit oben eingestiegen. Es ist noch nicht zu spät!
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